Mausbacher Kirchenschatz Kirchengerät und Heiligtümer in Abbildung und Ansprache
- Formensprache
- Vom biblischen Vorbild bis zur Aufbruchstimmung der Nachkriegszeit
- Gnadenbild "Maria Zuflucht der Sünder"
- Zur Geschichte des Wallfahrt-stiftenden spätgotischen Gnadenbilds in Mausbach
- Bestandsaufnahme
- Spätgotik, Barock, Historismus
- Fotos: Haro von Laufenberg und Herbert Reimer
- ISBN 978-3-9823390-4-7
- um ein Glossar erw. Printausgabe, erschienen im August 2023
Formensprache
In der Offenbarung enthüllt der Evangelist Johannes seine ihm von einem Engel eingegebene Vision des nach den apokalyptischen Katastrophen aus dem göttlichen Himmel neu erstandenen Jerusalem: Wie ein kristallklarer Jaspis leuchte die Gottesstadt, ganz aus Gold und mit Edelsteinen sei sie gebaut, mit Toren aus je einer einzigen Perle (Offb 21,9-27).
Dieser biblische Text hat Kirche und Kunst seit dem Mittelalter inspiriert und man hat versucht, die Vision des Johannes im Kirchbau real abzubilden. Edelsteine wurden in die Chorwände eingelassen und auch die Glasfenster sollten in ihren Tiefen leuchten wie Edelsteine. Dementsprechend das Kirchengerät golden und mit Edelsteinen und Perlen verziert, und so auch die Messgewänder dem Himmlischen angemessen mit Gold, Edelsteinen und Perlen bestickt. Zugleich wurde eine Distanz zwischen Gemeinde und Priester geschaffen, wobei Chor- und Altarschranken umso mehr verdeutlichten, dass Gott nur durch den Leib der Kirche erreichbar sei.
Edelsteine
Insofern ist der Prunk in einer katholischen Kirche zunächst allgemein ein Symbol der Herrlichkeit des Gotteszeichens. Jedem Juwel aber kommt zusätzlich ein Symbolcharakter zu. Hrabanus Maurus (* um 780 in Mainz, † 856 in Winkel im Rheingau), Gelehrter am Hofe Karls d. Gr. in Aachen, Mönch, Abt von Fulda und schließlich Erzbischof von Mainz, erstellte einen Katalog über die symbolische Bedeutung der Edelsteine. Im Jaspis sah er die Kraft des Glaubens, im Chalzedon das Blut der Märtyrer, im Amethyst frommes und demütiges Denken. Johannes nennt 12 Minerale in den Grundsteinen des himmlischen Jerusalem, und zwar hierarchisch (hier: Farben nach Plinius' Naturkunde/nach jüdischer Tradition): 1. Jaspis als den edelsten aller Edelsteine (klar, vermutl. weißer Diamant), 2. Saphir (blau), 3. Chalzedon (rötlich), 4. Smaragd (grasgrün), 5. Sardonyx (vermutl. schwarz), 6. Sardion (rot), 7. Chrysolith (blassgrün, vermutl. Türkis), 8. Beryll (meergrün), 9. Topas (grün, vermutl. Chrysolith), 10. Chrysopras (apfelgrün), 11. Hyazinth (rot), 12. Amethyst (violett).
In der Praxis bediente man sich meist leichter erschwinglicher Imitate und schon in der Antike war man bemüht, kostbare Edelsteine durch Nachbildungen zu ersetzen. Ton wurde glasiert und bemalt, Achat gefärbt, Glas mit farbiger Flüssigkeit gefüllt, den Glanz verbessernde Metallfolie unterlegt und man verwendete Dubletten, die ein minderwertiges Unterteil mit einem höherwertigen Oberteil verbinden. Geschliffen wurden Edel- und Schmucksteine vom Mittelalter bis zum Ende des 15. Jh.s als Cabochons. Der Facettenschliff, zunächst am Bergkristall, setzte sich erst ab dem 16. Jh., als er auch am Diamanten gelang, allgemein durch. So lässt sich an dem spätgotischen Mausbacher Reliquiar schon am Schliff der Steine in der Kapsel mit den Herrenreliquien erkennen, dass diese jüngeren Datums ist als die übrigen Teile des Reliquiars.
Perlen
Wenn nun die Gottesstadt Mauern aus Jaspis hat und in ihren Grundfesten Edelsteine eingelassen sind, 12 verschiedene, so wie es 12 Apostel gibt, so ist die Perle als das Tor zur himmlischen Stadt Symbol für Jesus Christus, für Geburt und Wiedergeburt durch die Erlösung durch Jesus Christus, Sinnbild der Reinheit und der geistlichen Gnade. Demnach ist das Perlmutt Symbol für die jungfräuliche Gottesmutter Maria.
In hohem Ansehen standen die weißgelben orientalischen Perlen, bis zum 18. Jh. gab es in Mitteleuropa aber auch noch reichlich Flussperlen. Zum Ende des 19. Jh.s kamen Halbperlen in den Handel, ab dem 20. Jh. Zuchtperlen. Schmuckperlen sind als sogenannte Römische Perlen aus Alabaster in Wachs und anschließend in Perlenessenz (aus Schuppen des Weissfisches) getaucht bekannt, in besserer Qualität aus Glaspasten oder als mit Perlenessenz gefülltes Glas.
Metalle
Gold ist durch alle Zeiten als Symbol aller Sonnengottheiten angesehen worden. In der christlichen Kultur wird aus dem Glanz des Goldes sinnbildlich gefolgert, dass verblasster Glanz für das Leugnen Christi steht, mithin ist Mattgelb die Symbolfarbe für Verrat und danach für Juden. Juden werden im Mittelalter mit gelben Kopfbedeckungen, den "Judenhüten", geächtet, in der Segregation durch die Nazis, die sich der kirchlichen Tradition bedient haben, mit gelben "Judensternen". Mattgelb ist Schandfarbe auch für Huren und für Aussätzige.
Im 8./9. Jh. wurde Edelmetall für die Messkelche vorgeschrieben. Nur armen Gemeinden war Zinn gestattet. Ein Kompromiss in diesem Sinne ist auch das Silber. In der Apokalypse des Johannes kommt es nicht vor. Es ist indes in archaischer Zeit und dann auch im antiken Griechenland zuweilen dem Gold gegenüber bevorzugt worden, z.B. von den Athenern, und es ist leichter und damit handlicher als das Gold und vor allem, es ist allein aufgrund der Vorkommen immer schon preiswerter als das Gold gewesen. Die Gold-Silber-Ratio lag im Altertum bei 1:12, im 16. Jh. bei 1:14. Nachteil des Silbers ist, dass es mit Schwefelwasserstoff in Anwesenheit von Luftsauerstoff Silbersulfid bildet, schwarz anläuft. Also hat man es vergoldet und die guten Eigenschaften beider Edelmetalle vereinigt: die Leichtigkeit des Silbers mit der Beständigkeit und dem göttlichen Glanz des Goldes.
Vermutlich von seiner antiseptischen Wirkung her ist Silber analog als Apotropaion betrachtet worden. Römische Priester sollen silberne Statuen an den Reichsgrenzen vergraben haben, und erst als diese entfernt wurden, seien die Barbaren eingedrungen. Später schießt man mit silbernen Kugeln auf Wetterhexen in Gewitterwolken und auf Werwölfe, denen man anders nicht beizukommen meint. Seiner Eigenschaften als Edelmetall wegen und als so weiß und hell strahlend wie kein anderes Metall musste dem Silber auch kultischer Symbolgehalt zukommen. Im alten Ägypten galt Gold als Fleisch der Götter, Silber als deren Gebein. Die Kapseln für die Reliquien in Mausbach sind aus Silber mit gläsernen Schauseiten: In der christlichen Symbolik steht Silber für Unschuld, Jungfräulichkeit, Reinheit, Integrität, kosmische Verbindung, Intellektualität, analog Weiß, das bei allen Sakramenten getragen wird.
Geräte
Der Messkelch ist das wichtigste Kirchengerät. Der Kelch gehört zum Priester und wandert mit diesem, bis er endlich an der letzten Wirkungsstätte des Priesters an die Pfarre übergeht. Solcherweise befinden sich zumindest drei Kelche im Mausbacher Kirchenschatz.
Im Kelch, so die lange unterhaltene Vorstellung vom Zaubern in der Kirche, verwandle sich der Messwein in das Blut Christi und beseele gleichermaßen wie in animistischen Vorstellungen den Priester mit Christus. Der Kelch sollte daher eine dieser Bedeutung angemessene Größe haben und eben daher auch grundsätzlich aus Edelmetall gefertigt sein. Er besteht aus Fuß (lat. pes), Schaft (lat. stilus) und Schale oder Becher (lat. cuppa). Im romanischen Kelch sind die Proportionen gedrungen, im gotischen gestreckt und Fuß und Schaft architektonisch gegliedert. Der Schaft ist an der Stelle, wo man ihn gewöhnlich fasst, mit dem Knauf (lat. nodus) verdickt, in der Gotik häufig in rautenförmige Griffknoten, lat. rotuli "Nägel", aufgelöst. Der gotische Stil ist bis zum 17. Jh. maßgeblich. Im Barock entwickeln sich fließende Übergänge, der Kelch wird mit Prunk überladen und mit Filigran verziert. Im Klassizismus zeigt er wieder klaren Aufbau, wobei der Nodus weit oben am Schaft angelegt ist und der Kelch unterhalb am Schaft gehalten wird.
Die gotische Monstranz ist nach dem Sinnbild der Gottesstadt architektonisch komponiert. Sie erscheint als Kirchturm und danach "Turmmonstranz" genannt und dann auch im Mittelteil nach dem Vorbild des Flügelaltars verbreitert als sogenannte Retabelmonstranz. Wie beim Kelch hat sich auch die Form der Monstranz in der sakralen Goldschmiedekunst bis zum 17. Jh. erhalten und ist als neugotisch im Historismus des 19. Jh.s wiederholt worden. In der Renaissance wird der Schaubereich rund und in der Gegenreformation schließlich erhält die bisher architektonisch komponierte Monstranz die Form der strahlenden Sonne. Diese sogenannte Strahlenmonstranz mag man als zeitgenössische Demonstration des Glaubensanspruchs der Katholischen Kirche interpretieren. Das Motiv ist indes allen Religionen mit Sonnengottheiten gemein. In der Katholischen Kirche wird es heute minimalistisch verwendet und kommt so auch in der aktuellen, modernen Mausbacher Hostienmonstranz vor.
Aufbruchstimmung im 20. Jh.
Seit den 1950ern ist die Formensprache in der Katholischen Kirche von einer Aufbruchstimmung gekennzeichnet: Statt Opulenz und Unnahbarkeit Reduktion auf das Wesentliche und Aufhebung der Opposition zwischen Priester und Gemeinde. So ist nun das Kruzifix auch nicht mehr von der Darstellung des Leidens bestimmt, sondern vom Ausdruck des Triumphs.
Gnadenbild "Maria Zuflucht der Sünder"
Ein Gnadenbild ist eine gemalte oder plastische Darstellung von Heiligen, der religiöse Verehrung zukommt, wenn das Bildnis denn, so nach katholischem Glauben, mit Mirakelberichten verbunden ist. Dem holzgeschnitzten Marienbildnis aus dem 15./16. Jh. im Mausbacher Kirchenschatz ist dieser Charakter zugedacht und es hat das höchste Ansehen unter allen Mausbacher Heiligtümern.
Nach dem Katalog der Dekanatsausstellung 1870 in Eschweiler hat es eine ganz ähnliche Skulptur in der Abtei Rolduc (Niederlande, dt. Klosterrath) gegeben.1 Die in Mausbach soll 1654 durch den Aldenhovener Dietrich Mülfahrt auf der Vogeljagd in der Höhlung eines Lindenbaums unweit der Pfarrkirche entdeckt worden sein. Sie habe sich bei alsbald späterer Betrachtung erleuchtet. Ab 1655 verbinden sich Mirakelberichte mit ihrer Verehrung, worauf 1656 eine Wallfahrt nach Aldenhoven, daselbst 1659 eine Wallfahrtskapelle und 1661 ein Kloster gestiftet worden sind.2
1802 ist die Skulptur dem Kloster durch Arnold Salmagne, alias Pater Wolfgang, erster Pfarrer von Mausbach, entwendet worden und dies hat nach Aufdeckung 1831 nach Tod desselben den Wallfahrtsort Mausbach als auch anhaltende Zwistigkeiten mit Aldenhovener Gläubigen begründet.3 Mehrfach soll das Bildnis von Burschen aus Aldenhoven und Mausbach hin- und hergestohlen worden sein.4 Gezeigt wird seitdem meist eine Kopie – in Aldenhoven ohnehin als auch in Mausbach.
Die Mausbacher haben nicht nur die Mirakelberichte den Aldenhovenern allein überlassen. Es wurde behauptet, der Umstand, dass im deutsch-französischen Krieg 1870/71 keiner der Mausbacher Kriegsteilnehmer vom Leben zum Tode gebracht wurde, sei auf die Anwesenheit dieses Marienbildnisses in Mausbach zurückzuführen. Pfarrer Arnold Ortmanns indes ermahnte 1930: "Der Besitz des Bildes aber macht es nicht allein zum Unterpfand der Gnaden, sondern erst seine würdige Verehrung" und weiter: "Im Weltkrieg 1914/18 kam Mausbach nicht so gnädig davon [...]"5
Hintergrund der Heiligenverehrung ist die Vorstellung, dass Gott seiner Größe wegen dem Menschen unnahbar ist und dieser also die Heiligen, die näher an Gott und am Menschen sind, um Vermittlung seiner Anliegen anruft. Dabei hat sich der Marienkult seit dem 13. Jh. als führend entwickelt. Dies insbesondere im Rheinland, in dem schon in vorchristlicher und bis zum Teil ins 17. Jh. als "Beiglaube"6 bestandener Tradition eine besondere Affinität zu Muttergottheiten als auch dem Diana-Kult bestanden hat.
Heute interpretiert die Katholische Kirche die Heiligen als Vorbildcharaktere. Das mag nicht als zielführend erscheinen, wenn man an Heilige wie den Kirchenlehrer Augustinus denkt: Antijudaismus, körperfeindliche Sexualethik und Legitimation von Gotteskriegen sind vernünftig nicht zur Nachahmung zu empfehlen. Maria als "Mutter der Barmherzigkeit" gewiss und daher rührt ihr Ehrentitel "Zuflucht der Sünder".
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